Das Fernsehen der letzten Jahre hat mich nur selten beeindruckt, und so ist es dem Zufall zu verdanken, dass ich kurzfristig die Ankündigung las, Das Erste würde abends die “in Großbritannien umjubelte” BBC-Serie Sherlock ausstrahlen. Ein Glücksgriff.
Bis dahin hatte ich noch nichts von dieser Neuadaption des Klassikers von Sir Arthur Conan Doyle gehört, doch meine stille Liebe zu britischem Humor und englischen Krimiserien machte mich neugierig. Es sollte ein Fernsehabend werden, der mich nachhaltig faszinieren sollte: Mit der Serie Sherlock holt die BBC nicht nur Arthur Conan Doyles Erzählungen in die Neuzeit, sondern beeindruckt mit einer ungewöhnlich verzahnten Bild- und Textsprache.
Die Modernisierung des Stoffes erfolgt fast nebensächlich. Ich vermag nicht einzuschätzen, wie eingefleischte Sherlock-Holmes-Fans die Serie aufnehmen, denn sie ist aus meiner Sicht tatsächlich ein Bruch mit dem Klischee des Holmes wie man ihn kennt. Nikotinpflaster anstelle einer Pfeife, Taxis und Busse anstelle des historischen, viktorianischen Londons. Dieser Sprung ins Getümmel der Großstadt mit ihren Glasfassaden tut der Serie gut: Es ist jetzt scheinbar eine Krimiserie wie jede andere, nur dass sich niemand amüsiert, dass da jemand Sherlock Holmes und Doktor Watson heißt.
Was die Reihe von anderen unterscheidet, ist die Einführung einer zusätzlichen Ebene: Schlussfolgerungen Sherlocks, Textnachrichten und das Internet legen sich als Zusatzerzählung in Texteinblendungen über den Film. Es wird davon ausgegangen, dass der Zuschauer ganz selbstverständlich die Verbindung herstellt, wenn Textnachrichten an der Wand hinter John Watson erscheinen oder wenn Sherlock per Gestensteuerung den Wetterbericht auf seinem Smartphone abruft. Text und Bild verschmelzen, lästige Gegenschnitte mit Nahaufnahmen von Handys oder Computern erübrigen sich.1 Diese Engführung der Text- und Bildebene schafft eine ungewöhnlich dichte Fernsehästhetik, die das Erzähltempo hoch hält.2 Handlung und Gedanken der Hauptpersonen spielen sich so auch für den Zuschauer zeitgleich statt.3
1 So erfrischend auch der Umgang mit Texteinblendungen ist, so sehr erschreckt es, wenn tatsächlich einmal Computerinterfaces im Bild zu sehen sind. Die gestalterische Arbeit wirkt hier wie von vorgestern, wie aus einer deutschen Krimiserie der 90er Jahre. Die Anspielungen sind klar: Mephone anstelle von Mobile Me – man hätte sich hier visuell vom Vorbild jedoch einiges abschauen können.
2 Unterstützt wird das Tempo durch einen sehr fließenden Schnitt, der mit Überblendungen und Einschüben arbeitet. Auch die sehr moderne, kinoartige Musik mit ihrem treibenden Rhythmus tut ihr Weiteres.
3 All dem muss ein langer, kreativer Prozess vorangegangen sein, denn die vor kurzem erschienene DVD beinhaltet den nicht ausgestrahlten Pilotfilm der Serie, der einen erstaunlich offenen Einblick in die Entstehung und Verfeinerung eines Fernseherlebnisses gibt.
Auch wenn der Audiokommentar der DVD anderes andeutet, ist diese Darstellungsform nicht neu. Bereits MK12 griff für den Hollywood-Film “Schräger als Fiktion” auf diese Methode zurück, um die von Struktur und Zahlen geprägte Welt des Harold Crick zu visualisieren:
Nichtsdestotrotz ist die Umsetzung bei Sherlock gelungen, denn sie wird nicht als bloßer Effekt sondern als die Handlung tragendes Element eingesetzt.
Schrifttausch in der deutschen Fassung
Ein interessantes Detail ergibt sind in der deutschen Fassung der Serie: Die für die Texteinblendungen verwendeten Schriften werden ausgetauscht, teils auch vereinheitlicht. Kommen im Original die AF Generation Z und P22 London Underground zum Einsatz,4 greift die deutsche Übertragung fast ausschließlich auf die FF Officina zurück. Eine Ausnahme bilden die Übersetzungen von Blogeinträgen, die im Englischen allerdings nicht als Einblendung gezeigt, sondern vom Laptop abgefilmt werden.
Nun muss ich persönlich zugeben, dass mir die Typografie der deutschen Version besser gefällt – sie wirkt präziser gesetzt, ausgewogener. Allerdings verschiebt sich die inhaltliche Bedeutung der Einblendungen. Nicht in dem Sinne, dass die deutsche Übersetzung falsch wäre, nein, aber mit den verwendeten Schriften sind unterschiedliche Assoziationen verbunden.
Denn das Original setzt zwei Zeichen: Die AF Generation Z verweist einerseits auf die Generation Internet mit Ihren Handys und Mobilgeräten, andererseits setzt die P22 London Underground ein klar britisches Ausrufungszeichen. Beide Schriften passen trefflich zur Serie, denn sie unterstreichen sowohl den Aspekt der Modernisierung als auch die Zugehörigkeit der Figuren zur Stadt London.
Die deutsche Version spart den britischen Aspekt gänzlich aus und mit der FF Officina wählt sie eine Schrift, die auf die Zeit vor dem Handy und der weiten Verbreitung des Internets verweist. Erik Spiekermann, der Entwerfer der Schrift, schrieb in anderem Kontext auf seinem Blog:
[G]edacht war die Schrift damals Ende der 80er Jahre für die Korrespondenz, als Ersatz für die Schreibmaschinenschrift, mit der sie etliche Merkmale teilt.
Es würde mich interessieren, aus welchen Gründen für die deutsche Fassung diese Anpassung vorgenommen wurde. Zufall oder Konzept? Ich weiß es nicht.
Weiter geht’s
In Großbritannien ist soeben die zweite Staffel gestartet, die bei uns im Sommer im Ersten gezeigt werden soll. Wer Spaßan Sherlock hat, kann sich derweil die Zeit auf der Webseite Sherlockology vertreiben, die alles Mögliche rund um den einzigen “consulting detective” sammelt.